Text von Christiane Dressler (Düsseldorf) zur Ausstellung „SOLID SOLIDARITY“
Michael Tolloy Figuren der Stille
Michael Tolloys Skulpturen sind Zwitterwesen ganz besondere Art. Auf der einen Seite nehmen sie sich kunsthistorischer Tradition, auf der anderen Seite formulieren sie eine geschmackliche, doch zielstrebige konsequente Hinwendung zu einem zeitgenössischen Menschenbild, konsequent, formal und technisch in der Verwendung des traditionellen skulpturalen Materials.
Gleichermaßen konsequent die in der Galerie Voss gezeigte Schau diesen neuen Anspruch in der Werkchronologie des in Innsbruck geborenen Künstlers, Indem Skulptur sie der letzten Jahre von ebenso angenommener Ästhetik wie klar distanzierender Wirkung präsentiert. Denn Ambivalenzen dieser Kunst zu bündeln, stellt auch eine zentrale Vermittlungsaufgabe von Kunst heute dar.
Nähe und Distanz, Eindringlichkeit und Gleichgültigkeit, diese Ambivalenz erfährt der Betrachter von Tolloys Skulpturen bei der ersten Begegnung. Augen blicken ihn an, durch ihn hindurch, ob geschlossen, geöffnet, in die Ferne gerichtet, irritierende Blickachsen in die Ferne tun sich auf, die man sucht, aber auch bei der Annäherung an das Objekt nicht eindeutig fixieren kann.
Im Zentrum der Arbeiten von Michael Tolloy steht der Mensch, als Ganzkörperfigur, Büste, Kopfstück dargestellt, manche lebensgroß, andere leicht monumentalisiert. Alle halten den Betrachter in gebührender Distanz, statuarisch stehen sie, noch schauen sie, manche wirken unnahbar, stolz, archaisch erhaben. Andere verharren in kindlich oder jugendlichem Ausdruck. Junge Frauen, feingliedrig filigran und mit zarten Gesichtszügen blicken fragend, manche leicht auffordernd, alle sind sie von ruhiger, stiller Eleganz.
Auch die Größe der Körper verweist auf Distanz, will man mehr über die dargestellten Figuren, ihren Ausdruck von Innerlichkeit und gleichgültiger Verschlossenheit erfahren. Alter und Geschlecht sind erkennbar, doch vage definiert. Details naturalistischer Abbildung werden angedeutet, aber bleiben im künstlerischen Kontext isoliert, sodass Gestik und emotionaler Ausdruck in einem schwebenden fließenden Kontext und in einem weiten skulpturalen Umraum verharren, um dort eine unbestimmte zeitliche Dauer zu erkennen, sterben der klassischen zu eigen ist.
Der Aspekt von Zeitlosigkeit verweist bei Tolloy sowohl auf seine Verpflichtung gegenüber der Tradition, deutlich in der Verwendung des künstlerisch oft unterschätzten Materials Holz als auch auf eine komplizierte unbestimmte Zukunftsvision. Holz sei für ihn ein „bescheidenes Arbeitsmaterial“, der „positive Kern, die Seele meiner Arbeiten“. Explizit nutzt der Tiroler die Zirbel, das Holz seiner Heimat, die Linde, ein in der Gotik und Renaissance beliebtes Material und die Zypresse mit ihrer Maserungsvielfalt. Je nach Werkgruppe betont Tolloy die Eigenschaften des Materials, lässt Rissen Zeit zu arbeiten, sich zu vertiefen, modelliert Oberflächenmaserungen mit Bergkreide, um natürliche Eigenschaften zu akzentuieren,
Die hier ausgestellten Arbeiten zeigen den umgekehrten Prozess. Nur in einzelnen Werken klaffen Kerbungen wie Wunden, ansonsten sind Oberflächen geschlossen, geglättet, samtweich poliert, verbergen die Materialität oder deutlich sie durch feine, schnell grafisch anmutende Linienfälle an. Der Betrachter tritt näher, möchte sich der Haptik der Werke versichern, sterben luzide wie Porzellan schimmert und dabei warm wie menschliche Körper die Künstlichkeit des Materials in Frage zu stellen scheinen. Kunst, Künstlichkeit, Elemente naturalistischer Gestaltung und abstrakter Form gehen eine mehrdeutige Symbiose ein.
Geht es bei dieser Materialverfremdung um eine bloße Irreführung des Betrachters zum Zweck bewusstseinsschärfender Reflexion über ein neues Menschenbild? Steht die Funktion von Kunst, Künstlichkeit oder gar künstlicher Intelligenz zur Disposition? Roboterartig wirken manche der Objekte in ihrer zur Perfektion gesteigerten kalten Ästhetik, der makellosen Proportion des Gesichts, dem entindividualisierten regungslosen Ausdruck, der vergänglichen filigranen Körperhaftigkeit.
Unterschiedlich im Material, vergleichbar im Ausdruck und auf dem Kunstmarkt angekommen sind Jaume Plensas Objekte, konstruiert aus Glas, Stahl, Polyester, Kunstharz, Bronze. Als monumentale Köpfe oder in sich ruhende Gesten von Rückzug und Gelassenheit stehen sie still, singulär, monumentalisiert in Landschaften und im städtischen Raum, markieren Inseln innerer Ruhe, schaffen Orte der geistigen Einkehr. Stoisch fordern sie den vorübergehenden Rückzug aus urbaner Betriebsamkeit, laden ein zum Innern, verbunden mit unberührter Natur und öffentlichem Raum. Es sind Arbeiten und darin sind sie Tolloys Intention nah, die Spiritualität, Schönheit, Perfektion evozieren als menschlicher Habitus, als Postulat und menschliches Potential. „In einer sehr lauten Welt gilt es, Stille herzustellen“,
Michael Tolloys Kunst lädt ebenso ein zum Innehalten, erinnert an den leisen Dialog, fordert Introspektion in Zeiten gesellschaftlicher Turbulenz. „Vielleicht kann ich etwas mitgeben für ein gutes Miteinander“, sagt er lakonisch. Sensibilisieren kann seine Kunst bestimmen – für den konzentrierten Blick nach innen in einer Äußerlichkeiten allzu reichen Welt.